Einen schwierigen, nur wenige Minuten dauernden, Ablauf in einer Intensivstation (hier in einer Poliklinik) hatte das Oberlandesgericht München mit Urteil vom 15.12.2011 zu entscheiden. Auf einer Intensivstation muss umgehend Personal greifbar sein, das lebensbedrohliche Situationen kunstgerecht behandeln und abwenden kann. So urteilte das Oberlandesgericht München und sprach dem geschädigten Patienten ein Schmerzensgeld von 300.000 Euro zu. In dem konkreten Fall ging es um einen Patienten, der nach einer Operation intubiert und maschinell beatmet wurde, wobei der Beatmungsschlauch durch die Nase gelegt worden war. Im Laufe der Zeit belegte sich der Tubus (eine Hohlsonde) mit Sekret, weswegen der Patient nicht mehr ausreichend beatmet wurde und seine Vitalfunktionen daraufhin stark abfielen. Während dieser Zeit befanden sich auf der Intensivstation lediglich zwei Ärzte im Praktikum und ein Medizinstudent, der sich in der praktischen Ausbildung befunden hatte. Anstatt den Tubus zu entfernen und den Patienten anderweitig zu beatmen, hatten sich diese – ohne Erfolg – bemüht, den Tubus durchgängig zu machen. Der alarmierte und diensthabende Stationsarzt konnte ebenfalls den Tubus nicht ausreichend durchgängig machen, so dass dieser den Tubus schließlich entfernte und den Kläger nun mittels Atemmaske beatmete. Erst 22 Minuten später konnte das ebenfalls gerufene Reanimationsteam den Patienten mit Erfolg reintubieren. Nun ist der Patient wegen der erlittenen Sauerstoffunterversorgung ein Pflegefall, er befindet sich in einem Wachkoma.
Das Oberlandesgericht gelangte zu der Überzeugung, dass der hier in Frage stehende und verstrichene Zeitraum von 8 Minuten sowohl einen groben Behandlungs- als auch einen groben Organisationsfehler darstellt. Das Gericht führt dabei aus:
„Das Problem liegt nicht darin, dass die Extubation als solche schwierig durchzuführen wäre. Die anschließend zuverlässige Reintubation des Patienten mit einem neuen freien Tubus beziehungsweise die Überbrückung der Zwischenzeit mit Maskenbeatmung erfordert jedoch Übung und Erfahrung. Wenn dies nicht gelingt und der Patient auch nicht spontan atmet, ist dieser von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten.“
Das Gericht sah eine Haftung wegen Organisationsmängeln ebenso wie eine Haftung wegen individuellen Versagens. Es führt aus:
„[…] wenn […] leitende Ärzte keine geeignete organisatorische Vorsorge getroffen haben, um derartige Notfälle auf der Intensivstation zeitgerecht durch einen hinreichend qualifizierten Arzt behandeln zu können (grober Organisationsmangel)“ sei dies ebenso haftungsbegründend „[…] wie wenn eine derartige Struktur errichtet und hinreichend kommuniziert war, jedoch […] wider besseres Wissen und in Kenntnis der Tatsache dass wegen des hohen Risikos für Leben und Gesundheit des Klägers keine Zeit verloren werden darf, nicht umgesetzt wurde (grobes Individualversagen). In beiden Varianten muss der Beklagte für das Fehlverhalten seiner Mitarbeiter gleichermaßen und in vollem Umfang über § 278 BGB beziehungsweise § 31 BGB einstehen.“