Im VersRecht gilt im Grundsatz keine andere Beweislastverteilung als im übrigen Zivilrecht: Jede Partei muss die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtsnorm oder vertraglichen Regelung beweisen, aus deren Rechtsfolge sie Ansprüche für sich herleitet
a) Selbsttötung
In der Lebensvers. ist der VersFall, der Tod des Versicherten oder der Erlebensfall, i.d.R. nicht streitig. Gestritten wird darüber, ob der Versicherer etwa leistungsfrei ist, weil sich der Versicherte selbst getötet hat. Nach § 169 VVG ist der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherte „Selbstmord“ begangen hat. In ihren Allgemeinen VersBedingungen haben die Lebensversicherer diese gesetzliche Regelung insoweit zu Gunsten des VersNehmers bzw. seines Bezugsberechtigten abgeändert, als sie Leistungsfreiheit nur dann in Anspruch nehmen, wenn der Versicherte sich innerhalb von fünf – meist sogar drei – Jahren seit Zahlung der ersten Prämie selbst getötet hat36. Besteht der Verdacht, dass sich der Versicherte innerhalb der in den VersBedingungen festgelegten Zeit selbst getötet hat, obliegt dem Versicherer der Beweis dafür37. Der Anscheinsbeweis steht dem Versicherer nicht zur Verfügung38. Der Freitod eines Menschen ist meist so sehr von seinen besonderen Lebensumständen, seiner Persönlichkeitsstruktur, der augenblicklichen Gemütslage und der sich daraus ergebenden subjektiven Sicht beeinflusst, dass von einem typischen Geschehensablauf nicht gesprochen werden kann.39.
In diesen Fällen wird der Versicherer als Beweismittel auch Exhumierung und Obduktion anbieten. Die Rspr. lässt diese Beweismittel selbstverständlich zu, behandelt sie aber mit einer gewissen Sensibilität. So hat der BGH entschieden, dass dem Beweismittel der Exhumierung nur nachzugehen ist, wenn eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass beweisrelevante Feststellungen noch getroffen werden können40. Die beantragte Obduktion muss das letzte noch mögliche Beweismittel sein, d.h. alle anderen Beweismöglichkeiten müssen vorher genutzt worden sein41. Im übrigen setzen diese Beweismittel die vorherige Einwilligung des Versicherten oder die spätere Zustimmung einer zur Totensorge berechtigten Person voraus42.
b) Freie Willensbestimmung ausschließender Zustand
Will der Anspruchsberechtigte dagegenhalten, der Versicherte habe die Tat begangen in einem die Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Geistestätigkeit, § 169 S. 2 VVG, § 8 Abs. 1 ALB 86, so hat der Anspruchsteller entsprechende Umstände zu beweisen. Das wird i.d.R. nur durch Sachverständigengutachten geschehen können, mit all den Schwierigkeiten dadurch, dass der Versicherte auf solche Umstände nicht mehr untersucht werden kann. Beim BGH schien einige Zeit eine Tendenz zu herrschen dahin, dass wer sich selbst tötet, mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit seinen Willen nicht frei betätigen konnte. Danach wäre ein Gutachten fast immer erforderlich gewesen. Diese Tendenz findet sich heute nicht mehr, wohl zu Recht. Denn wenn man an den sog. Bilanzselbstmord43 denkt, so kann man nicht ohne weiteres von einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit sprechen.
36Vgl. z.B. Musterbedingungen § 8 Abs. 2 ALB 86 begrenzt auf drei Jahre.
37BGH VersR 92, 861 unter 2 b = NJW-RR 92, 982 = ZfS 92, 349; VersR 91, 870 unter 1 m.w.N. = NJW-RR 91, 982 = ZfS 91, 380; OLG Düsseldorf VersR 99, 1007 = r+s 99, 344 = NVersZ 99, 321.
38VersR 91, 870 unter 1 m.w.N. = NJW-RR 91, 982 = ZfS 91, 380.
39BGHZ 100, 214, 216 = NJW 87, 1944 = VersR 87, 503 = r+s 87, 173.
40VersR 91, 870 unter 3 a = NJW-RR 91, 982 = ZfS 91, 380.
41BGH VersR 92, 861 unter 2 b = NJW-RR 92, 982 = ZfS 92, 349.
42VersR 91, 870 unter 3 b = NJW-RR 91, 982 = ZfS 91, 380.
43Vgl. OLG Nürnberg VersR 94, 295 = r+s 94, 316; Römer/Langheid aaO Fn. 21, § 169 Rdnr. 7 m.w.N.