Beweis von Behandlungsfehler und mangelnder Aufklärung ?

Im Arzthaftungsprozess kommt es hauptsächlich dann zu Beweisproblemen, wenn

 

darüber Streit besteht, ob dem Patienten eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung

zuteil geworden ist, ob dem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist und ob der

geltend gemachte Gesundheitsschaden auf dem Behandlungsfehler beruht. Das

gilt für Klagen aus Vertrag und aus Delikt – dem bei weitem häufigsten Klagetyp –

gleichermaßen. Hier zeigt der gegenwärtige Stand der Rspr. das folgende Bild:

 

 

 

I. Beweisprobleme bei der Risikoaufklärung

 

1.

Der Beweis eines schuldhaften Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit

für einen gesundheitlichen Schaden des Patienten kann mühsam sein. Da kann es

nicht verwundern, dass mancher Patient, der das Opfer einer ärztlichen

Fehlbehandlung geworden zu sein glaubt, statt dessen oder zusätzlich geltend

macht, der Arzt sei ihm unabhängig von einem Behandlungsfehler schon deshalb

zum Schadenersatz verpflichtet, weil er es versäumt habe, ihn – den Patienten –

über die Risiken der Behandlung aufzuklären.

Eine solche Behauptung kann den Arzt in Schwierigkeiten bringen. Er ist

zur Risikoaufklärung verpflichtet. Sie ist die Voraussetzung einer

rechtswirksamen Einwilligung des Patienten in den Eingriff in die

körperliche Integrität; dieser Einwilligung bedarf es, um den ärztlichen

Eingriff vom Vorwurf der Rechtswidrigkeit zu befreien. Dies bedeutet nach

dem die Beweislastverteilung beherrschenden Zusammenspiel von

anspruchsbegründenden, anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden

und anspruchshemmenden Normen, dass der Arzt beweisen muss, dass

erden Patienten über die Behandlungsrisiken aufgeklärt hat.

 

 

 

 

Das gilt nicht nur dann, wenn der Klageanspruch auf Delikt, sondern auch dann, wenn er

auf Vertrag gestützt ist. Die Risikoaufklärung ist ein Teil der Behandlung;

wer geltend macht, eine vertragliche Pflicht erfüllt zu haben, hat dies zu

beweisen. Zum selben Ergebnis gelangt, wer mit dem Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit der Einwilligung aus dem in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten ableitet. Das Selbstbestimmungsrecht kann nur der Patient rechtswirksam ausüben, der über Art, Trag weite, Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt worden ist.

 

2.

Es geht aber nicht allein darum, dass der Patient irgendwie und irgendwann

über die Behandlungsrisiken aufgeklärt worden ist.

a) Die Aufklärung ist – das folgt aus ihrer Zweckbestimmung – ein

anspruchsvolles Postulat. Sie verlangt ein Gespräch zwischen Patient und

Arzt; nur bei Routineeingriffen wie bei einer Routineimpfung kann es

genügen, wenn dem Patienten statt des Arzt-Patienten-Gesprächs nach

einer schriftlichen Aufklärung Gelegenheit zu weiteren Informationen durch

ein Gespräch mit dem Arzt gegeben wird. Für dieses Gespräch gilt zwar, dass der Patient nur einen Anspruch auf eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“

hat.

So reichte es beispielsweise aus, dass der Patient, der sich

wegen Morbus Hodgkin einer Strahlenbehandlung unterzogen hatte,

darauf hingewiesen worden war, dass es bei sehr intensiver Bestrahlung

zu Haut- und Organveränderungen kommen könne; auf das Risiko einer

Perikarditis brauchte er nicht ausdrücklich hingewiesen zu werden.

 

 

 

Der Zweck des Aufklärungsgesprächs zwingt indes den Arzt, die medizinischen

und situationsbezogenen Gesichtspunkte zur Sprache zu bringen, die

gerade für die Entscheidung dieses einzelnen Patienten in seiner

konkreten Lage von Bedeutung sind. Dabei muss er bestimmte

Orientierungslinien beachten: je schwerer der Eingriff ist, umso mehr

verlieren Einzelheiten für die Entscheidung des Patienten an Gewicht; auf

der anderen Seite gebietet das Selbstbestimmungsrecht des Patienten

eine detailliertere Aufklärung, wenn der Eingriff weniger dringlich ist, wenn

es sich gar um einen kosmetischen Eingriff handelt; besteht der Patient auf

einer bestimmten Maßnahme, die unvernünftig ist, dann sind

Anforderungen an die Risikoaufklärung besonders hoch.

 

 

 

 

 

b)

Die aus der Zweckbestimmung folgenden Postulate an die

Risikoaufklärung reichen aber noch weiter. Sie muss vor allem – von

Notfällen abgesehen – rechtzeitig erfolgen. Rechtzeitigkeit bedeutet, dass

der Patient die Chance haben muss, das Pro und Contra der

medizinischen Behandlung abzuwägen und Vertraute zu Rate zu ziehen.

Dabei hängt der Zeitraum von den Verhältnissen ab. Man muss hier nach

dem Maß der Belastung des Patienten unterscheiden. Bei Eingriffen mit

geringen oder weniger einschneidenden Risiken wird einem Patienten, der

am Tag vor der Operation aufgeklärt wird, noch genügend Zeit für seine

Überlegungen verbleiben. Anders verhält es sich bei einem Patienten, der

am Abend vor dem Eingriff erstmals von gravierenden Risiken erfährt, die

seine zukünftige Lebensführung entscheidend beeinträchtigen können.

Geht es hingegen nur um normale Narkoserisiken, dann lässt sich die

Entscheidung zwischen alternativ vorgeschlagenen Narkoseverfahren

ohne zumutbare Belastungen auch noch am Vorabend treffen. Bei einem

normalen ambulanten Eingriff reicht sogar eine Aufklärung am Tag des

Eingriffs aus, vorausgesetzt, dem Patienten verbleibt die freie

unbeeinflusste Entscheidung für oder gegen den Eingriff

 

 

 

 

 

c)

In der Konsequenz der Beweislast des Arztes für die Risikoaufklärung

liegt es, dass er auch zu beweisen hat, dass seine Risikoaufklärung diesen

weiteren Aufklärungspostulaten gerecht geworden ist. Für diesen Beweis

hat die Rspr. Regeln entwickelt. Es gilt der Grundsatz, dass an den Beweis

einer ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten keine unbilligen und

übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen

 

In der Regel hilft hier das Aufklärungs- oder Einwilligungsformular weiter. Die Existenz einer

unterschriebenen Einwilligungserklärung des Patienten ist ein Indiz dafür,

dass vor der Unterzeichnung ein Aufklärungsgespräch über die Operation

und deren mögliche Folgen geführt worden ist

 

 

Das gilt erst recht, wenn sich auf dem Formular – wie es in der Praxis häufig geschieht –

handschriftliche Zusätze finden.

 

 

Regelmäßig überprüfen die Gerichte dann, wenn über den Inhalt des Aufklärungsgesprächs Streit besteht, das vom Patienten unterzeichnete Formular Punkt für Punkt

 

 

Das Aufklärungsformular liefert also – jedenfalls zunächst – nicht nur für das

„Ob“ , sondern auch für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs Beweis.

Allerdings ist mit dieser Indizwirkung des Einwilligungsformulars auch eine

Kehrseite verbunden: werden in dem Formular die mit dem Eingriff

verbundenen Risiken im Einzelnen aufgezählt und ist dort von einem

bestimmten aufklärungsbedürftigen Risiko, das sich später verwirklicht hat,

nicht die Rede, dann begründet dieses Defizit Zweifel daran, ob der Patient

auch über dieses Risiko aufgeklärt worden ist. Es ist dann Sache des

Arztes, auf andere Weise – etwa durch Zeugen – zu beweisen, dass der

Patient auch über dieses Risiko aufgeklärt worden ist

 

 

Bestätigen Zeugen, dass die umstrittene Risikoaufklärung der ständig praktizierten

Übung des Arztes entspricht, dann kann dies ein wichtiges Indiz für die

Aufklärung des Patienten auch im konkreten Streitfall darstellen

 

In einem solchen Fall kann die Parteivernehmung des Arztes, die auch von Amts

wegen angeordnet werden kann, in Betracht kommen, um letzte Zweifel

auszuräumen

 

 

 

d)

Bei der besonderen Bedeutung, die dem Einwilligungsformular für die

Beweiswürdigung zukommt, kann es nicht ausbleiben, dass von der

Patientenseite nicht selten geltend gemacht wird, der Arzt habe ein Risiko,

das im Einwilligungsformular klar bezeichnet worden ist, im Gespräch mit

dem Patienten verharmlost. Um einen solchen Fall handelt es sich

beispielsweise dann, wenn der Patient behauptet, der Arzt habe den

Hinweis auf die Gefahr einer „Lähmung“  im Formular während des

Aufklärungsgesprächs dahin kommentiert, dass es sich um eine allenfalls

kurzzeitige Lähmung von einigen Stunden handeln könne. In einem

solchen Fall verliert die Indizwirkung des Formulartextes ihr Gewicht. Dem

Arzt obliegt dann der Beweis, dass er eine ordnungsgemäße,

einschränkungslose Risikoaufklärung vorgenommen hat. Allerdings wirkt

sich in einem solchen Fall die Indizwirkung der unterzeichneten

Einwilligungserklärung immerhin noch dahin aus, dass sie einen

Anfangsbeweis liefert, so dass dem bekl. Arzt für die Beweisführung noch

die Parteivernehmung zu Verfügung steht.

 

Es geschieht auch nicht selten, dass ein Patient geltend macht, ein handschriftlicher Hinweis auf

ein bestimmtes Risiko – beispielsweise auf das Risiko einer

Hüftkopfnekrose nach einer hüftkorrigierenden Operation – habe im

Zeitpunkt seiner Unterschrift nicht im Text des Einwilligungsformulars

gestanden; er sei erst später eingefügt worden. In einem solchen Fall muss

der Patient seine Behauptung beweisen; das folgt aus dem bewährten

beweisrechtlichen Grundsatz, dass privatschriftliche Vertragsurkunden die

Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit des Urkundentextes

Begründen.

 

 

 

3.

Gelingt es dem Arzt nicht, eine wirksame Risikoaufklärung des Patienten zu

beweisen, so bedeutet dies noch nicht, dass ohne weiteres von der

Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausgegangen werden könnte.

 

a)

Es bleibt nämlich zu prüfen, ob der Patient nicht überhaupt

rechtswirksam auf eine Risikoaufklärung verzichtet hat. Vom

Aufklärungsverzicht ist erstaunlich selten die Rede. Es steht aber außer

Frage, dass der Patient auf eine Risikoaufklärung, die sonst die

unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung in den

ärztlichen Eingriff bildet, verzichten kann.

Die Beweislastverteilung zum Aufklärungsverzicht bereitet im Grundsatz auch keine Schwierigkeiten.

Macht der Arzt geltend, er sei wegen eines Aufklärungsverzichts des

Patienten einer Risikoaufklärung enthoben gewesen, dann beruft er sich im

Ergebnis auf die Erfüllung seiner Aufklärungspflicht. Hierfür trägt er nach

den zu § 362 BGB entwickelten allgemeinen Grundsätzen die Beweislast.

 

Dies bedeutet, dass der Arzt auch die Voraussetzungen der Wirksamkeit

des Aufklärungsverzichts zu beweisen hat, also die klare und eindeutige

Verzichtserklärung des Patienten und dessen Aufklärung über den

Behandlungsrahmen. Beruft sich dann der Patient darauf, dass er seine

Verzichtserklärung unter dem Druck und Einfluss des Arztes abgegeben

habe, dann trifft ihn die Beweislast für diese Behauptung. Das folgt aus der

Indizwirkung, die von der Erklärung des Aufklärungsverzichts ausgeht.

 

b)

Sodann gibt es Fallgestaltungen, in denen sich aus der Natur der Sache

eine Risikoaufklärung als überflüssig erweist. Das gilt für Risiken, die

bekanntermaßen mit jeder größeren unter Narkose vorgenommenen

Operation verbunden sind wie das Risiko einer Wundinfektion, eines

Narbenbruchs oder einer Embolie. E ine Risikoaufklärung ist auch und vor

allem dann überflüssig, wenn der Patient schon von einem anderen Arzt

aufgeklärt worden ist oder die Risiken und Chancen des Eingriffs auf

Grund seines Bildungsstandes – etwa weil er selbst Mediziner ist – kennt.

Bestreitet der Patient einen Kenntnisstand, der eine Risikoaufklärung

überflüssig macht, dann trifft den Arzt für seine Behauptung, der Patient

habe vor dem Eingriff doch das zur Wahrung seines

Selbstbestimmungsrechts erforderliche medizinische Fachwissen gehabt,

die Beweislast. Das folgt aus den Behandlungsabläufen. Der Arzt muss

sich nämlich, selbst wenn der Patient auf ihn einen wissenden Eindruck

macht, vor seiner Entscheidung, den Patienten nicht über die

Behandlungsrisiken aufzuklären, vergewissern, ob der Patient tatsächlich

die für die sachgerechte Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts

erforderliche Kenntnis von den Behandlungsrisiken besitzt. Dann aber ist

es für ihn auch zumutbar, sich die erforderlichen Beweismöglichkeiten zu

verschaffen und zu sichern

 

 

 

4.

Ist eine allen Postulaten genügende Risikoaufklärung für den Arzt nicht

beweisbar und auch nicht auf Grund einer der geschilderten

Sachverhaltsgestaltungen überflüssig, dann pflegt der Arzt geltend zu machen,

dass der Patient auch dann, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre, in

die Behandlungsmaßnahme eingewilligt hätte. Ein solches Vorbringen ist als

Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens grundsätzlich beachtlich. Es führt

zu einem kompliziert anmutenden Zusammenspiel von Behauptungs- und

Beweislast:

 

Nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung hat der Arzt

die Tatsachen zu beweisen, die den Rückschluss auf die geltend

gemachte hypothetische Einwilligung erlauben. Die Beweispflicht des

Arztes setzt jedoch erst ein, wenn der Patient zuvor substantiiert dargelegt

hat, dass er bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung vor einem

Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Allerdings braucht der Patient nur

vorzutragen, dass er in seiner damaligen Situation in einen

Entscheidungskonflikt geraten wäre; er muss nicht darlegen, dass er sich

bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung gegen den Eingriff entschieden

hätte. An dieser Klippe scheitern nur wenige Kl. In der Regel machen sie

vor dem Richter, der sie persönlich anhören muss

 

 

 

 

geltend, dass sie sich – wären sie ordnungsgemäß aufgeklärt worden – nicht bei diesem Arzt,

nicht in diesem Krankenhaus und nicht zu diesem Zeitpunkt dem Eingriff

unterzogen hätten. Erst wenn es dem Patienten gelingt, seinen

Entscheidungskonflikt dem Richter plausibel zu machen, setzt die

Beweislast des Arztes für die Behauptung ein, der Patient hätte auch bei

ordnungsgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt. Dieser

Beweis ist schwer zu führen; er ist nicht schon dann erbracht, wenn der

Arzt beweist, dass sich ein „vernünftiger“  Patient für den Eingriff

entschieden hätte, sondern dieser konkrete Patient in seiner konkreten Konfliktsituation.

 

 

Es kommt jedoch durchaus vor, dass der Beweis gelingt, so beispielsweise in einem Fall, in dem dem Arzt nach einem Cervixriss zur Schonung des Lebens der Patientin kein anderer Ausweg als eine Gebärmutterexstirpation geblieben war.

 

 

 

 

II. Beweis eines Behandlungsfehlers

 

1.

 Der Arzt schuldet dem Patienten nach § 276 BGB vertraglich wie deliktisch die

im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Das Maß dieser Sorgfalt bestimmt sich nach dem

medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebietes. Der Arzt muss diejenigen

Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus

der Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden.

 

Dies bedeutet, dass der Patient, der die Beweislast für einen

Behandlungsfehler trägt, beweisen muss, dass der Arzt den medizinischen

Standard nicht gewahrt hat. Obwohl der Arzt das Behandlungsgeschehen

beherrscht, während dem Patienten in der Regel alle Einsichts- und

Beurteilungsmöglichkeiten fehlen, findet hier eine Beweislastumkehr zu

Gunsten des Patienten grundsätzlich nicht statt. Die Beweisregel des §

282 BGB findet im Kernbereich des ärztlichen Handelns nur

ausnahmsweise Anwendung; die Vorgänge im lebenden Organismus sind

nicht so beherrschbar, dass schon der ausgebliebene Erfolg oder auch nur

ein Fehlschlag auf ein Verschulden bei der Behandlung hindeuten würde.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gesundheitsschaden des Patienten

in einem Bereich entstanden ist, dessen Gefahren vom Klinikpersonal voll

beherrscht werden können und müssen. Beispiele hierfür sind etwa die

Funktionstüchtigkeit eines Narkosegeräts, die Reinheit eines

Desinfektionsmittels oder die ordnungsgemäße Lagerung des Patienten

auf dem Operationstisch

 

 

2.

In dieser Situation der Unterlegenheit des Patienten gewinnen

Beweiserleichterungen, die ihm die Rspr. gewährt, eine besondere Bedeutung.

 

a)

Eine der im Haftpflichtprozess sonst bewährten Beweiserleichterungen,

der Anscheinsbeweis, spielt allerdings im Arzthaftungsprozess eine

klägliche Rolle. Das beruht auf seinen Anwendungsvoraussetzungen. Der

Anscheinsbeweis findet ja nur Anwendung auf typische

Geschehensabläufe, also auf Abläufe nach Muster. Das Typizitätspostulat

lässt dem Anscheinsbeweis im Arzthaftungsprozess, in dem es in der

Regel um die weitgehend unberechenbaren Reaktionen des menschlichen

Organismus geht, nur wenig Raum. Da sind zunächst die Fälle, in denen

es sich um den Einsatz von Material und Instrumenten handelt, der zu

Schäden geführt hat, die von den spezifischen Besonderheiten des

jeweiligen Organismus unabhängig sind. So spricht etwa eine nach einer

Operation im Leib des Patienten zurückgebliebene Klemme für ein

Verschulden des Arztes; das Gleiche gilt, wenn ein Patient bei einer

Bestrahlung Verbrennungen ersten Grades erlitten hat. In einer anderen

Gruppe von Fällen setzte man den Anscheinsbeweis sogar zum Beweis

der Fehlerhaftigkeit des ärztlichen Vorgehens ein, so beispielsweise in

einem Fall, in dem bei der Operation der Nasenscheidewand die

Hypophyse beschädigt worden war, oder in den Fällen, in denen nach

Injektionen Schäden aufgetreten waren.

 

Bei diesen Anwendungsfällen handelt es sich indes in der Regel um

ältere Entscheidungen. Es fällt auf, dass sich der BGH in der letzten Zeit

mit der Anwendung des Anscheinsbeweises deutlich zurückgehalten hat.

Man spricht im Arzthaftungsprozess nicht mehr gern über diese

Beweiserleichterung. An ihre Stelle sind andere Rechtsfiguren getreten.

 

b)

Da ist zunächst die Beweiserleichterung im Fall eines

Organisationsverschuldens. Wird einem Arzt, der noch Berufsanfänger

ist, ohne fachkundige Aufsicht oder Assistenz eine Behandlung oder

Operation übertragen und kommt es dabei zu Komplikationen, dann

besteht ein Indiz dafür, dass diese Komplikationen auf der unzureichenden

Qualifikation des Arztes beruhen. So tragen beispielsweise dann, wenn

nach einer Operation, die ein Berufsanfänger durchführt, eine

Nahtinsuffizienz eintritt, der Krankenhausträger und der Chefarzt die

Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Nahtinsuffizienz nicht auf

fehlender Erfahrung und Übung des noch nicht ausreichend qualifizierten

Operateurs beruht

 

 

 

c)

Der Arzt ist vertraglich wie deliktisch zur Dokumentation des

Behandlungsgeschehens verpflichtet. Das Postulat der Dokumentation

dient zwar der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Behandlung des

Patienten; es soll allen mit der weiteren Behandlung befassten Personen

Auskunft über die bisherigen Behandlungsschritte geben. In der

praktischen Konsequenz kann die Pflicht zur Dokumentation aber eine

Beweiserleichterung bewirken. Dokumentiert werden müssen wenigstens

in Stichworten die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen

Maßnahmen wie Diagnoseuntersuchungen, Medikation, Gründe für ein

Abweichen von der Standardbehandlung, aber auch der Verlauf der

Behandlung sowie weitere behandlungsrelevante Vorkommnisse, etwa

Wechsel des Operateurs, Verlassen des Krankenhauses gegen den

ärztlichen Rat. Ist nun ein dokumentationspflichtiger Vorgang nicht

dokumentiert worden, dann kann dies indizieren, dass diese Maßnahme

unterblieben ist. Das kann bis zur Beweislastumkehr in der

Verschuldensfrage führen. Begibt sich beispielsweise ein Patient wegen

stechenden Schmerzes und Lähmung im Bein in die Behandlung eines

Orthopäden und erhält er dort Spritzen, stellt sich aber danach heraus,

dass er an einem zur Beinamputation führenden Gefäßverschluss gelitten

hat, dann kann sich der Orthopäde nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe

den Patienten auch wegen einer Gefäßerkrankung untersucht, wenn über

eine solche Untersuchung auf der Karteikarte nichts vermerkt ist. Es ist

dann davon auszugehen, dass der Arzt den Patienten nicht differentialdiagnostisch

auf eine Gefäßerkrankung untersucht hat, so dass ihm ein

Behandlungsfehler unterlaufen ist.

 

Es sei jedoch auf die Grenzen dieser Beweiserleichterung hingewiesen. Sie setzt nur ein, wenn es um

dokumentationspflichtige Maßnahmen oder Vorkommnisse geht. Eine

Dokumentation, die medizinisch nicht erforderlich ist, ist auch nicht aus

Rechtsgründen geboten, so dass aus dem Unterbleiben derartiger

Aufzeichnungen auch keine beweisrechtlichen Folgerungen gezogen

werden können

Außerdem führt ein Dokumentationsdefizit grundsätzlich

nicht unmittelbar zu einer Beweislastumkehr in der Frage der

haftungsbegründenden Kausalität.

 

d)

Der Arzt unterliegt weiter einer Befunderhebungs- und Sicherungspflicht.

Hat er es schuldhaft versäumt, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde

zu erheben und zu sichern, dann lässt sich im Wege der

Beweiserleichterung für den Patienten auf ein reaktionspflichtiges positives

Befundergebnis schließen, wenn ein solches Ergebnis hinreichend

wahrscheinlich ist. Macht der Patient beispielsweise geltend, der Operateur

habe bei der Entfernung der Gallenblase mit den darin befindlichen

Gallensteinen einen Reststein im Gallengang schuldhaft nicht erkannt, und

kann der Krankenhausträger über den Verbleib der

Behandlungsunterlagen und insbes. der bei der Operation angefertigten

Röntgenaufnahmen keine Auskunft geben, dann ist der Patient des

Beweises seiner Behauptung, dass der Reststein auf den während der

Operation gefertigten Röntgenaufnahmen erkennbar gewesen sei,

enthoben. Es ist dann Sache der Behandlungsseite, ihre Behauptung zu

beweisen, dass der Reststein während der Operation für den Operateur

nicht erkennbar gewesen ist

 

 

e)

Nicht zu unterschätzen ist auch die praktische Erleichterung, die sich für

den Patienten daraus ergibt, dass er das Recht hat, die ihn betreffenden

Krankenpapiere einzusehen und Fotokopien anfertigen zu lassen. Hierfür

bedarf es nicht der Darlegung eines besonderen Interesses

 

Allerdings besteht dieses Recht nicht schrankenlos; ihm kann die therapeutische

Rücksicht auf den Patienten entgegenstehen. Macht der Arzt einen

solchen therapeutischen Vorbehalt geltend, dann kann er hiermit aber nur

Erfolg haben, wenn er die maßgeblichen Bedenken nach Art und Richtung

kennzeichnet, allerdings ohne die Verpflichtung, herbei ins Detail zu

gehen

 

 

 

 

III. Beweis der haftungsbegründenden Kausalität

 

1.

Der auf Schadenersatz klagende Patient ist noch nicht am Ziel, wenn ihm der

Beweis eines schuldhaften Behandlungsfehlers des Arztes gelingt. In einem

solchen Fall hält der Arzt dem Klagevorbringen regelmäßig entgegen, dass sich

sein Fehler für den Patienten nicht nachteilig ausgewirkt habe, weil es auch ohne

diesen Fehler zu dem Schaden gekommen wäre, aus dem der Patient seine

Klageansprüche herleitet. Damit drängt er den für die anspruchsbegründenden

Tatsachen und somit auch für die Tatsachen beweisbelasteten Patienten, die den

Schluss auf einen Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und

Rechtsgutverletzung rechtfertigen, in die Beweispflicht. Hier kommt dem Patienten

aber eine Beweiserleichtertung zu Hilfe; es ist die für die Praxis wohl wichtigste.

Gelingt es dem Patienten zu beweisen, dass dem Arzt ein grober

Behandlungsfehler unterlaufen ist, dann ist er des Beweises der

haftungsbegründenden Kausalität des Behandlungsfehlers enthoben. Dies

allerdings nur unter der weiteren Voraussetzung, dass der Behandlungsfehler

geeignet war, den aufgetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Dabei wird

indes nur eine generelle Eignung verlangt. Die Beweislastumkehr setzt nicht

voraus, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem groben

Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden wahrscheinlich ist. Sie versagt

aber dann, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem groben

Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden ganz unwahrscheinlich ist

 

 

2.

Das Problem dieser Beweiserleichterung besteht in den hohen Anforderungen

an den Beweis eines groben Behandlungsfehlers. Ein solcher Fehler liegt nämlich

erst vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln

oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen

hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt

schlechterdings nicht unterlaufen darf.

 

 

Besonders hohe Anforderungen gelten, wenn es darum geht, ob ein Diagnoseirrtum als grob einzustufen ist. Ein solcher Irrtum kann nur dann als grob bewertet werden, wenn er fundamental ist, so beispielsweise dann, wenn ein Orthopäde, bei dem eine 32-jährige Frau wegen Beinbeschwerden erscheint, „arterielle Durchblutungsstörungen, akute Thrombophlebitis“

diagnostiziert, ohne an einen akuten embolitischen Beinarterienverschluss zu denken

 

 

3.

In jüngerer Zeit hat der BGH seine Rspr. zur Beweiserleichterung in der

Kausalitätsfrage fortentwickelt, und zwar durch eine Kombination der bei

Verletzung der Befunderhebungs- und Sicherungspflicht einerseits und beim

groben Behandlungsfehler andererseits einsetzenden Beweiserleichterungen.

Zwar lässt ein Verstoß des Arztes gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung

medizinischer Befunde im Wege der Beweiserleichterung für den Patienten

zunächst nur auf ein reaktionspflichtiges positives Befundergebnis schließen, wenn

ein solches Ergebnis hinreichend wahrscheinlich war. Ein solcher Verstoß kann

aber darüber hinaus auch für die Kausalitätsfrage eine beweiserleichternde

Bedeutung gewinnen, wenn im Einzelfall zugleich auf einen groben

Behandlungsfehler zu schließen ist, weil sich bei der unterlassenen Abklärung mit

hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund

ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental fehlerhaft darstellen

müsste.

 

Schickt beispielsweise ein Internist einen bei ihm wegen Beschwerden

im Brustbereich erscheinenden Patienten nach Anfertigung eines EKG nach

Hause, erliegt dieser Patient kurz darauf einem Herzinfarkt und entgegnet der Arzt

auf die Behauptung der klagenden Witwe, der Patient sei ein Infarktpatient und auf

dem EKG sei ein früherer Infarkt erkennbar gewesen, dass er das EKG nicht

vorlegen könne, dann hat der Richter seiner Beweiswürdigung die Behauptung der

klagenden Witwe zu Grunde zu legen. In diesem Fall ist der Beweis der

haftungsbegründenden Kausalität geführt, wenn davon auszugehen ist, dass das

EKG hinreichend wahrscheinlich einen so deutlichen und gravierenden Befund

gezeigt hätte, dass sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental

fehlerhaft darstellen müsste

 

 

In einem solchen Fall führt also ein Versäumnis

einer gebotenen Befunderhebung oder Befundsicherung, auch wenn dieser Fehler

selbst nicht als grob zu qualifizieren ist, in der Kausalitätsfrage zu einer

Beweislastumkehr. Sie findet ihre innere Rechtfertigung in dem Versäumnis des

Arztes, das für den Patienten den Kausalitätsbeweis unzumutbar werden lässt.

 

4.

Die Bewertung eines Behandlungsfehlers als grob ist Sache des Tatrichters.

Diese Beurteilung erfordert eine Gesamtbetrachtung des

Behandlungsgeschehens, bei der die Würdigung des medizinischen

Sachverständigen aber nicht außer Acht gelassen werden darf. Hier ist nicht

selten zu beobachten, dass Tatrichter überraschend geringe Anforderungen an die

Qualifizierung eines Behandlungsfehlers als grob stellen. Mitunter zeigt sich auch

eine Neigung, einen groben Behandlungsfehler auch ohne eine hinreichende

Absicherung durch das Votum eines Sachverständigen zu bejahen. Der BGH ist

einer solchen Praxis entgegengetreten. Er hat ausgeführt, dass der Tatrichter

Unklarheiten und Zweifel zwischen verschiedenen Bekundungen des

Sachverständigen durch eine gezielte Befragung klären muss und keinesfalls ohne

erkennbares eigenes medizinisches Fachwissen sich aufdrängende Zweifelsfragen

nach dem Grad der Verletzung des ärztlichen Standards selbst dahin beantworten

darf, dass ein grober Behandlungsfehler vorliege.

 

An dieser Stelle wird die besondere Bedeutung deutlich, die

Sachverständigengutachten gerade im Arzthaftungsprozess haben. Das könnte in

Zukunft noch deutlicher werden. Nach § 839a BGB ist ein vom Gericht ernannter

Sachverständiger, der vorsätzlich oder – und dies ist der entscheidende Punkt –

grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet, zum Ersatz des Schadens

verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung

entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. Es wird dann wohl noch so manchen

Arzthaftungsprozess geben, der in einem Sachverständigenhaftungsprozess seine

Fortsetzung findet.

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